Frauen und Film feiert dieses Jahr ihr 50. Jubiläum. Die Zeitschrift ist Teil der feministischen Filmarbeit hierzulande – eine »Institution«, die »Generationen« von Leser*innen, Filmemacher*innen, Kinogänger*innen und Theoretiker*innen begleitet hat und wiederum von diesen geprägt wurde. Wie lassen sich diese Generationen greifbar machen/beschreiben und wie in ein Verhältnis zueinander bringen? Welche Bedeutung kann diesen in einer Situation zugeschrieben werden, in der sich wichtige Begründerinnen der feministischen Filmarbeit zurückziehen oder ganz bewusst ihre Arbeit an jüngere Generationen weitergeben?
Die gängigste, jedoch nicht widerspruchsfreie Periodisierung der Frauenbewegung der vergangenen 150 Jahre spricht von einer ersten und zweiten Frauenbewegung, alternativ auch von Wellen. Dabei
treten Generationenerfahrungen und -konflikte in der Frauenbewegung zu Tage, oft laufen Debatten auf Differenzen zwischen den »Jungen« (Klischee: unpolitisch, selbstbezogen, geschichtsvergessen)
und den »Alten« (Klischee: überholte Geschlechter- und Gesellschaftsvorstellungen) hinaus, kurzum auf intergenerationelle Konflikte. Folglich taucht der Generationen-Begriff im diskursiven
Zusammenhang der feministischen Bewegung vor allem bei Generationenwechseln auf und wird auf kritische Auseinandersetzungen zwischen der ersten und der folgenden Generation zugespitzt.
(Beispielhaft die Auseinandersetzung Schwarzer/ Feldbusch in »Mad Mädchen«). Dabei sind immer Generationen gemeint, die sich aneinander reiben, voneinander unterscheiden wollen oder auch im Sinne
des Postfeminismus abgelehnt zurückgelassen werden.
Ursprünglich von dem lateinischen Begriff generatio (Zeugung) oder griechisch γένος (Geschlecht) kommend, wird »Generation« mit Karl Mannheims Definition von 1928 zu einem soziologischen
und geschichtlichen Grundbegriff. Wie viele der klassischen sozial- und geschichtswissenschaftlichen Termini unterliegt dieser einer starken Geschlechterbias und diente dementsprechend in der
Geschichtswissenschaft primär der Untersuchung weiß-männlicher Generationsentwürfe. Aktuell erfreut sich »Generation« als »Kollektivbegriff mittlerer Reichweite« (Ulrike Jureit) massenmedialer
Beliebtheit: »Generation« wird hier überwiegend als identitätsstiftende, aber auch konstruierbare Zugehörigkeit gefasst (Boomer, Generation X, Y, Z…). Nicht zuletzt die endenden planetaren
Ressourcen lassen uns die räumlich-körperliche sowie
zeitlich-geschichtliche Bedingtheit des Lebens – unsere generationale Position darin – neu bewerten und damit auch die Generationenfrage anders stellen (Stichworte wie beispielsweise
intergenerationelle Gerechtigkeit, Letzte Generation und Generation Doom kommen in den Sinn). Mit der radikalen ökologischen Ethik Donna Haraways lässt sie sich aus der anthropozentrischen Logik
herausgelöst definieren: »Make kin, not babies«.
In der Filmwissenschaft ist »Generation« anders als »race«, »Klasse« oder »Gender« keine gängige Begriffs- oder gar Analysekategorie und eher ephemer. Doch lassen sich beispielsweise mit dem
derzeitig großen Interesse an Fragen des Archivs produktive Verbindungslinien ziehen: so waren in einem Special des diesjährigen Berlinale Forums mit dem Titel »Relations & Resistance« zwei
Filme zu sehen, in denen Töchter Archivarinnen und Ko-Regisseurinnen der Filme ihrer Mütter werden (VOICES OF THE SILENCED Japan/Südkorea 2023, R: Park Soo-nam und Park Maeui und MOTHER AND
DAUGHTER OR THE NIGHT IS NEVER COMPLETE, Georgien 2023, R: Lana Gogoberidze, Ko-Regie: Salome Alexi). In transgenerationaler Perspektive der Nachkommen von Überlebenden der Shoah wird wiederum
von der zweiten Generation als einer »Generation von Archivarinnen« gesprochen (Stella Leder). Monika Treut wiederum verschränkt titelgebend Geschlechter- und Generationenperspektiven in ihren
Porträts von trans Menschen vor dem Hintergrund der zunehmend bedrohlichen Lebensbedingungen in Kalifornien: GENDERATION (Deutschland 2021). Angesichts dieser Entwicklungen fragen wir uns, was
mit einem feministischen Blick auf Generationen für Film und Kino gewonnen werden kann; wie wird dieser aus queerer/feministischer/intersektionaler/post-migrantischer Perspektive fruchtbar
gemacht? Bringt der Generationen-Begriff Einsichten in die gegenseitige Durchdringung von Generationsabläufen und dem Miteinander von Alters-Kohorten in der Filmarbeit? Was kann er gegenüber
anderen Begriffen wie »Alter«, »Erinnerung«, »Verwandtschaft« u.a. besser fassen?
Frauen und Film 73 möchte geschult an der feministischen Hinwendung zur Sorge(-Arbeit) und in einem Moment, in dem die Gründerinnen-Generation der Zeitschrift selbst »historisiert« wird (siehe dazu den Film HELKE SANDER: AUFRÄUMEN, Deutschland 2023, Regie: Claudia Richarz), »Generation« in erster Linie aus intergenerationeller Perspektive betrachten, als Relation und Zusammenarbeit im Filmbereich und der Frauenbewegung: Die Filmarbeit von Frauen, die meist eine Zusammenarbeit ist, dreht sich um Miteinander, Weitergabe und Vermittlung unter Alters- und Erfahrungsstufen – eine interdependente Vielschichtigkeit und Wechselbeziehung, die sich – so unsere Ausgangsannahme – über den Begriff der Generationen konkretisieren lässt.
Einen Fokus möchten wir auf intergenerationelle Erfahrungen als Voraussetzung, Aufgabe und Chance für die Arbeit mit und über Film setzen. Zunächst stellt sich allgemein die Frage nach der Rolle
der Generationen im Film und/oder zwischen Filmschaffenden. Wir laden potentielle Autor*innen dazu ein, den Generationen-Begriff/die Kategorie in essayistischen, künstlerischen, literarischen,
experimentellen oder wissenschaftlichen Beiträgen im Hinblick auf die eigene Film- und Theoriearbeit oder Kinoerfahrung zu befragen: Befördern bestimmte historische Situationen (Fluchtbewegungen,
Revolutionen, Klimakatastrophe) oder einfach Generationswechsel das Thema? Was sind spezifisch postmigrantische und/oder dekoloniale Perspektiven auf Generation im Film? Lässt sich die
Gemeinsamkeit des Filmschaffens von Frauen nur noch global fassen, als nicht nur zeitliche, sondern auch räumliche Generationscapes (Ullmann)? Inwiefern kann das Kino andererseits als
Haus der Generationen gesehen werden? Wie lassen sich transgenerationale Traumata im oder durch Film aufarbeiten? Wie ist die Thematisierung von Generationen geknüpft an Erinnerungsarbeit? Sind
bestimmte Motive wie Verlust, Konflikt, Empathie etc. daran gebunden? Können das Kino/einzelne Filme oder Genres als Generationenobjekte (Jureit) gesehen werden und was ergibt sich daraus? Gibt
es neben dem Coming of Age-Genre Affinitäten zwischen dem Thema der Generation und anderen Genres, wie z.B. Melodramen, Dokumentarfilmen oder Home Movies, oder auch zwischen filmhistorischen
Epochen, wie z.B. New Hollywood? Inwiefern unterliegen diese einer patriarchalen Färbung, wie z.B. in der THE GODFATHER-Trilogie (1972–1990)? Spielen Generationen in zeitgenössischen Filmen (von
Frauen) eine andere Rolle als in den
Filmen der »ersten Generation« bzw. der zweiten Frauenbewegung in der BRD (DIE BLEIERNE ZEIT (BRD 1981), HUNGERJAHRE (BRD 1980), VON WEGEN SCHICKSAL (BRD 1979), ETWAS TUT WEH (BRD 1979/80))?
Einsendungen von Vorschlägen (Abstracts von ca. einer Seite, mit kurzer Bio) bis zum 15.08.2024 an Gaby Babić (babic@kinothek-asta-nielsen.de) und Anke Zechner
(zechner.anke@web.de).
Länge der Beiträge: max. ca. 40.000 Zeichen, aber auch kürzere Texte jeglicher Form bzw. Fotostrecken sind willkommen.
Abgabetermin der Manuskripte bis zum 01.03.2025. Die Ausgabe erscheint im Spätsommer 2025.
Seit 2021 erscheint »Frauen und Film« bei uns. Eine Übersicht über die früheren, jetzt über uns beziehbaren Ausgaben finden Sie hier.